
2005 16. Juli WAZ
Vom Loft-Appartement bis zum Ex-Kinderzimmer
Martina Dietrich seit acht Jahren mit Vermittlungsagentur auf Erfolgskurs – Jetzt will sie Mutmacherin werden. Von Gabriele Heimeier.
Auf den britischen Inseln gehört die “Bed & Breakfast”-Unterkunft zum Tourismus-Angebot wie der Tower zur Bridge und das Guiness zum Pub. Vor acht Jahren hat Martina Dietrich in Herne die Agentur “Zimmer mit Frühstück im Revier” gegründet – und inzwischen zu einem kleinen Unternehmen ausgebaut.
“Kein Problem, ich schicke Ihnen eine Anfahrtbeschreibung.” – “Ja, den Vertrag können Sie innerhalb von einer Stunde bekommen”: Frauke Mönninger, Mitarbeiterin von Martina Dietrich, parliert an diesem sonnigen Juli-Morgen ebenso souverän wie freundlich auf Englisch miteinem Gesprächspartner in Pakistan, der für eine Dienstreise in Essen eine Unterkunft buchen möchte. Gleichzeitig checkt sie im Computer die für den gewünschten Zeitraum zur Verfügung stehenden Zimmer und Appartements. Ihre Chefin nickt kurz, schmunzelt: “Wir sind hier alle Fremdsprachenkorrespondentinnen. Ohne Sprachenkenntnisse, vor allem Englisch, geht in diesem Geschäft gar nichts.” Was zu beweisen war.
Zwischen Marl und Ratingen, Dortmund und Duisburg kann Martina Dietrich mittlerweile auf einen Stamm von 90 Vermietern, teilweise mitmehreren Objekten, zurückgreifen. “Vom Appartement im Loft bis zur Jugendstilvilla, vom Gelsenkirchener Hochbarok bis zum umgestalteten ehemaligen Kinderzimmer mit Küchen- und Badmitbenutzung – es ist alles vertreten”, erzählt sie. Bevor sie einen Vertrag schließt, nimmt sie jedes Quartier persönlich unter die Lupe. Wenn ein privater Vermieter auch keine Ansprüche wie die an ein Vier-Sterne-Hotel erfüllen muss, gibt es dennoch einige Grundbedingungen: “Betten und Matratzen müssen in Ordnung sein; es muss ein Fernseher vorhanden sein; es muss ein Bad geben oder eine Badmitbenutzung möglich sein”, listet Martina Dietrich auf. “Und nur billigst Zusammengewürfeltes, das nehmen wir auch nicht.”
Etwa 80 Prozent der Mieter sind Mitarbeiter von Firmen, die für Geschäftsreisen oder Montageeinsätze und ähnliches eine nicht zu teureUnterkunft suchen, die ihnen oft eine persönlichere Atmosphäre bietet als ein 08/15-Hotelzimmer. 20 Prozent der Mieter sind ouristen,die oft nur einige Tage bleiben und zum Beispiel Musicals, Ausstellungen und Theater besuchen. “Stundenweise vermitteln wir übrigens keine Unterkünfte”, sagt Martina Dietrich amüsiert. “Solche Anfragen kommen auch manchmal.”
Ihr bis jetzt fünfköpfiges Team möchte sie um einen zweiten Azubi erweitern; die Vorstellungsgespräche laufen bereits. Neben der fachlichen Qualifikation legt Martina Dietrich großen Wert darauf, dass die “Chemie” stimmt: “Wir arbeiten hier sehr eng zusammen, das funktioniert nur, wenn man sich sympathisch ist.” Sie selbst wohnt mit ihrem Mann und den beiden Jungen im Alter von fünf und neun Jahren im Erdgeschoss, in der Etage darüber ist die Agentur. Außerdem gehören noch drei Katzen, ein Hund, zwei Meerschweinchen und vier Hasen zum Haushalt. Die ersten Jahre ihrer Selbstständigkeit waren “knallhart”, erinnert sich Martina Dietrich. “Unser ältester Sohn war gerade geboren, mein Mann noch auf Jahre hinaus mit dem Medizinstudium beschäftigt, kein Einkommen, also was tun?” Als Mutter mit kleinem Kind seien ihre Aussichten auf dem Arbeitsmarkt äußerst gering gewesen. “Frauen sind da Männern gegenüber immer noch benachteiligt”, ist sie überzeugt. Mit einem großen Zettel und einem Stift habe sie sich ingesetzt und eine Liste gemacht, was als Arbeit für sie in Frage kommen könnte und was nicht – und kam dabei auf die Idee der Bed-and-Breakfast-Vermittlung.
Das erste Gespräch mit der Existenzgründerberatung bei der IHK Bochum sei jedoch sehr ernüchternd, geradezu niederschmetternd gewesen. Zum Glück sei sie jedoch an die Wirtschaftsförderung Herne verwiesen worden: “Und dort habe ich von Herrn Traute volle Unterstützung bekommen.” Die WfG habe sie Schritt für Schritt begleitet, für zehn Stunden sei für sie ein Unternehmensberater gesponsortworden: “Das war superwichtig, ich kann allen nur anraten, von solchen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Eine gute Idee allein reicht nicht.” Dennoch ist sie heilfroh, dass diese erste Zeit vorbei ist. Ihr ältester Sohn war damals in einer Tagesstätte, “und das klappte überhaupt nicht.” Nach zwei Jahren bekam sie für ihren Sohn Tageseltern, die sich auch heute noch um ihn und den jüngeren Bruder kümmern: wie Oma und Opa.
Im nächsten Jahr erwartet die Hernerin eine verstärkte Nachfrage nach Privatzimmern – während der Zeit der Fußball-Weltmeisterschaft. “Die wenigen Hotels werden mit Offiziellen belegt sein. Wo sollen die Fans übernachten?” Herne sei ein prima Ausgangspunkt, um zu den WM-Arenen im Revier zu kommen. Sie hoffe deshalb, das noch viele Ruhrgebietler das tun, wofür sie bekannt sind – sich weltoffen zeigen und ihre Wohnungen für private Übernachtungen öffnen. “Das tun die Ruhris nämlich gar nicht gerne”, hat sie in den vergangenen Jahren beobachtet. “Warum, das weiß ich bis heute nicht.”
Um auch anderen Mut zu machen, den eigenen Weg zu gehen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, hat sich Martina Dietrich jetzt bei einem bundesweiten Wettbewerb um den Titel als “Mutmacherin der Nation” beworben. Die prominent besetzte Jury u. a. mit Christian Wulff (Ministerpräsident Niedersachsen), Prof. Gertrud Höhler (Politikberaterin) und Susanne Birkenstock (Unternehmerin) trifft im Herbst die Entscheidung. Ob´s als Preis eine Reise gibt – mit Bed and Breakfast?